Im Rahmen der Gamescom, der weltweit größten Messe für digitale Spiele, sprach Ursula Vranken mit Ibrahim Mazari über die Entwicklung der Gamescom und die Bedeutung von Spielen für unsere Gesellschaft und der Industrie als Arbeitgeber.
Hallo Ibo, erstmal vielen Dank für die klasse Führung im Rahmen der Gamescom, die Du als Kompetenzgruppenleiter Games des Eco Verbandes, übernommen hast. Es ist ja schon beeindruckend, wie sich die Messe auf immerhin 193.000 Quadratmetern ausgedehnt hat.
Die Messe hat ja insgesamt ein rasantes Wachstum in den letzten Jahren hingelegt, was sind für Dich die wichtigsten Entwicklungen?
Es freut mich, dass der Rundgang so gut angekommen ist. In der Tat haben noch nie so viele Menschen digital gespielt wie heute. Das zeigen sowohl die Zahlen als auch die Trends. Nach Angaben des Branchenverbands BIU wurden alleine im ersten Halbjahr 2015 in Deutschland mit digitalen Spielen über 530 Millionen Euro umgesetzt, das ist mehr als der Umsatz der Musik- oder der Kinoindustrie.
Was sind die neusten Trends in der Branche?
Wir finden im Wesentlichen zwei Trends: Der Trend zum Online-Gaming, also weniger Spiele, die man auf Datenträgern wie DVDs kauft und hin zum Freemium–Modell und dem Spielen über das Internet. Freemium bedeutet, dass der Zugang zum Spiel kostenlos ist, im Spiel selbst aber einzelne Items gekauft werden können. Es gibt auch Abo-Modelle, wie wir sie von World of Warcraft kennen. Man zahlt eine monatliche Gebühr, um auf die Spieleserver zu gelangen. Gaming findet also zunehmend im Internet statt im Multiplayer-Modus, Spielewelten werden permanent weiter entwickelt, statt wie bisher einmal als abgeschlossenes Spielkonzept auf DVD verkauft zu werden.
Der zweite Trend ist das Mobile Gaming. Hier werden eher die Casual Gamer (Gelegenheitsspieler) angesprochen, was dazu führt, dass neue Zielgruppen für digitale Spiele gewonnen werden können.
Ist das Thema Spiele in der Gesellschaft angekommen?
Digitale Spiele sind definitiv in der Gesellschaft angekommen. Nach Umfragen spielen über 29 Millionen Menschen in Deutschland regelmäßig digitale Spiele, davon 15,8 Mio. männlich und 13,5 Mio. weiblich.
Naturgemäß ist der Anteil von Gamern höher, je jünger die Bevölkerungsgruppe ist. Von den 14-29 Jährigen spielen über 80% regelmäßig, bei den über 65 Jährigen nur noch 11% .
Wer spielt denn eigentlich was?
Es gibt auch einen klaren Unterschied in der Spielewahl. Klassische Genres wie Shooter, Sport- und Rennspiele sind eher männlich dominiert (über 80%), der Anteil der Frauen bei Strategiespielen wie League of Legends liegt da schon höher bei knapp 20 Prozent. Bei Rollenspiele und Mobile Games ist die Verteilung der Geschlechter paritätisch, genauso beim erfolgreichsten Computerspiel aller Zeiten „Sims“ von EA.
Die Industrie wächst stark, gilt das auch für das Angebot an Arbeitsplätzen in Deutschland bzw. gibt es viele deutsche Unternehmen am Markt?
Die Computer- und Videospielindustrie beschäftigt nach Angaben des Branchenverbands BIU rund 13.000 Menschen in Deutschland. 2014 waren 12.726 Menschen bei 450 Unternehmen mit der Entwicklung und dem Publishen – dem Branchenbegriff für das Verlegen – von digitalen Spielen in Deutschland beschäftigt. Der Großteil dieser 450 Unternehmen, nämlich 276, entwickelt schwerpunktmäßig Spiele, 67 haben ihren unternehmerischen Fokus auf das Publishing gelegt. Die übrigen 107 Unternehmen der deutschen Computer- und Videospielbranche agieren sowohl als Entwickler als auch Publisher. Zählt man auch die Beschäftigten hinzu, die sich in angrenzenden Bereichen Computer- und Videospielen widmen – etwa als Fachverkäufer im Einzelhandel, Journalisten, Wissenschaftler, Mitarbeiter von Behörden und Institutionen –, steigt die Anzahl der durch die Computer- und Videospielbranche gesicherten Arbeitsstellen auf 30.231.
Wie muss ich mir die Spiele- Industrie als Arbeitgeber vorstellen? Sind das alles kleine Start Ups in denen die Nerds regieren?
Wir haben es mit unterschiedlichen Firmengrößen zu tun. Etablierte Verlage wie Blizzard, Activision, Electronic Arts und Microsoft sind schon einige Jahre auf dem Markt, zumeist unterhalten diese internationalen Konzerne Standorte in Deutschland, die sich vornehmlich mit Marketing, PR und Verkauf beschäftigen. Das sind etablierte Strukturen wie in mittelständischen Unternehmen, wobei die Branche wie andere Kreativindustrien von einer gewissen Lockerheit gekennzeichnet ist. Anzüge und Krawatten trifft man eher selten.
Bei den Entwicklungsstudios können wir eher von Nerds im positiven Sinne sprechen, aber auch da sind Aufgaben wie Organisation, Finanzen, HR, Kommunikation und Vertrieb nötig, die dann einen anderen Fokus setzen in der Qualifikation der Mitarbeiter.
Welche Jobs sind besonders interessant und vor allem welche Profile bzw. Mitarbeiter mit welchen Kenntnissen werden gesucht?
Händeringend werden Programmierer gesucht, Gamedesigner sowie 2D-Designer. Alle sollten entsprechende Erfahrung mitbringen und schon einmal in der Gamesentwicklung gearbeitet haben. Spezielle Herausforderung ist der teilweise immense personelle Aufwand bei der Herstellung eines Games, wir reden hier von Budgets, die an Hollywood heranreichen können. Da ist neben den technischen Fähigkeiten vor allem Teamplay wichtig und die Fähigkeit, mit unterschiedlichsten „Gewerken“ produktiv zusammen zu arbeiten. Bei der Gamesentwicklung gilt es Regisseure, Texter, Grafiker, 3D-Animationsexperten, Musiker und Level-Designer zusammen zu bringen und zu koordinieren.
Gibt es eigentlich Ausbildungsberufe, die speziell auf die Spieleindustrie abgestimmt sind?
Es gibt mittlerweile spezialisierte Institute und Fachbereiche an Fachhochschulen, die rund um das Thema Gamedesign ausbilden, aber auch Schnittstellen zu anderen Berufsbildern wie Texter, Storyteller und Art-Director schaffen. Beispiele dafür sind das Cologne Game Lab der FH Köln, die Games Academy in Berlin sowie die Mediadesign Hochschule Düsseldorf. (Quelle: https://www.games-career.com/de/Studium/)
Es gibt auch einen anerkannten Ausbildungsberuf zum Gamedesigner.
Nicht zu unterschätzen sind klassische Berufsbilder wie Buchhaltung, Management und PR, die es teilweise auch mit Spezialisierung für die Gamesbranche gibt.
Du sprachst davon, wie Games inzwischen die Kultur prägen. Woran machst Du das fest?
Computerspiele begeistern Menschen und prägen andere Medien, etwa indem Figuren aus Computerspielen im Film aufgegriffen werden (etwa Lara Croft) oder berühmte Games Grundlage sind für Romane und Kunstwerke. Auch die Artworks (Skizzen aus den Games) werden mittlerweile ausgestellt und sogar teuer verkauft. Computerspiele prägen auch Lebenswelten und schaffen Jugendkulturen, wie man das sehr gut an den Cosplay-Communitys sehen kann, die sich etwa so kleiden wie ihre Lieblingsfiguren. Das sind popkulturelle Phänomene, die sich vermehrt in anderen Medien als Referenz wiederfinden, gerade in Japan ist das sehr deutlich zu sehen (Comics, Spielshows im TV, Musik, Theater, …).
Was würdest Du den Bedenkenträger, die e- Spiele immer noch als Gefahr sehen in eine „parallel Welt“ abzudriften, entgegenhalten?
Ich würde Bedenkenträger ermutigen, selbst digitale Spiele auszuprobieren. Denn nur wenn man sich auseinander setzt, kann man das Medium begreifen und differenziert wahrnehmen. Gaming ist eine ganze Welt voller Möglichkeiten, kulturellen Perlen und gewöhnlichem Kitsch und Trivialitäten, so wie wir es auch von der Musik, dem Film und der Literatur kennen. Natürlich ist ein verantwortungsvoller Umgang wie bei allen Medien wichtig, aber jede Form der kulturellen Betätigung stärkt die Persönlichkeit und ist elementar. Wir sollten vielmehr von digitalen Spielen lernen und diese Erkenntnisse auch für andere Lebensbereiche nutzen, etwa in der Personalführung. Dieser Ansatz wird als Gamification bezeichnet.
Ibo, wir danken Dir für das Gespräch und den Einblick in eine hoch spannende Branche.