„Bullshitbingo, Xing & LinkedIn haben mir noch nie einen Mehrwert gebracht. Unsere Leute wollen gar nicht so viel Verantwortung übernehmen. Die GenY ist doch genau wie wir damals, das wird sich auch noch auswachsen mit den Träumen über Selbstbestimmung. Bei uns kann heute schon jeder seine Meinung äußern und zwar im direkten Gespräch, dazu brauchen wir keine Facebook & Co. Wir sind doch keine Internetbude, wo man einfach mal die Chefs abschafft.“
Alles schon mal gehört? Willkommen im Club.
Dann haben Sie bestimmt in letzter Zeit auch mal mit Vertretern etablierter Unternehmen über New Work, Digital Leadership oder vernetztes Arbeiten gesprochen und ähnliche Reaktionen erhalten.
Ich bin manchmal erstaunt über die zum Teil große Skepsis, Ablehnung oder zuweilen auch Unwissenheit über Kommunikation und Arbeit in digitalen Netzwerken. Während Geschäftsführer zunehmend offen sind für die Thematik, kommt die größte Skepsis aus den Reihen der sogenannten mittleren Führungsebene, den Mittelmanagern.
Die Lücke
Auf der anderen Seite zeigt sich hier der Unterschied zwischen den „Bewahrern“ und Unternehmen wie Phoenix, Daimler, Otto, Telekom, Axel Springer, Siemens, Deutsche Bahn oder Bosch u.v.m. , sehr deutlich. Diese haben sich schon lange auf den Weg gemacht, um ihre Organisationen fit für die digitale Zukunft zu machen. Sie schrecken auch nicht mehr zurück vor den radikalsten Ideen der modernen Arbeitslehre, wie Daimler-Chef Dieter Zetsche mit seinem Ziel, rund 20 Prozent der Mitarbeiter auf eine autonome Schwarm-Organisation umzustellen, beweist.
Gerade für manche Mittelmanager sind diese Szenarien zum Teil furchterregend. Sind sie es doch, die heute in den Unternehmen das stabile Fundament zwischen Top Management und Mitarbeitern, häufig auch als Sandwich bezeichnet, bilden. Es sind die Männer (meistens), die mit Fleiß, Engagement, Fachwissen und auch persönlichen Kompromissen zum Abteilungs- oder Bereichsleiter aufgestiegen sind. Nicht immer beliebt bei den Mitarbeitern, aber geachtet und respektiert ob Ihrer Durchsetzungskraft von der Geschäftsführung.
Die Zeit des Vordenkens und Anweisens sind vorbei
Und jetzt das? Abgeben von Macht, Verantwortung, Einfluss und Statussymbolen an eine selbstorganisierte Crowd? Wie soll das gehen und wo ist mein Platz in der Zukunft, fragt sich manche Führungskraft nicht ganz zu Unrecht. Und die Fragen gehen weiter: immer mehr Wissensarbeiter (also im klassischen Verständnis die Mitarbeiter) stellen sich die Frage, welchen Mehrwert denn bitte der eigene Chef liefert?
Wenn Sie lieber Leser selbst Chef/ Chefin sind, dann denken Sie einen Moment über diese Frage nach: was ist heute Ihr Mehrwert und wie wird er in Zukunft aussehen, wenn Teams autonom arbeiten, der Schwarm sich selbst organisiert?
Zwei Systeme
Andererseits befinden wir uns in einer Transformationsphase in der es viele sich widersprechende Erwartungen an Führungskräfte gibt. Wir können zwar noch nicht genau sehen, was sich arbeitswissenschaftlich und ökonomisch durchsetzen wird und was als Trend irgendwann wieder begraben wird (ich persönlich tippe ja auf Holokratie), aber die Veränderungen sind in vollem Gange.
Es herrschen, wie für Transformationsphasen üblich, derzeit also zwei Systeme vor und es ist nicht auszuschließen, dass dieser Zustand eher die Regel als die Ausnahme bleibt.
Starker Entscheider versus Coach
Einmal haben wir die klassische Organisation, in der von Führungskräften verlangt wird, starke Entscheider zu sein, Verantwortung für alles Mögliche zu übernehmen, jeden Prozess bis ins Detail zu kennen, klare Zielvorgaben zu definieren und Kontrolle auszuüben. Und natürlich wird auch der Manager am Ende verantwortlich gemacht und wenn es sein muss auch für Fehler gefeuert. Es folgt eine Phase des Wartens auf den Neuen, häufig verbunden mit einer Phase des „das entscheiden wir jetzt nicht ohne den neuen Chef“ und des „ warten wir mal die Probezeit ab, ob er auch bleibt bzw. diese überlebt“. Schnell ist ein Jahr vergangen, viele Entscheidungen verschoben, verpasst und vergessen. Ein Jahr in dem das Team auf Wartemodus steht – im digitalen Zeitalter ist das nicht nur Stillstand, sondern gefährlicher Rückschritt.
Gleichzeitig kommt über gesellschaftliche und technologische Megatrends, wie z.B. der Digitalisierung, vermehrt der Ruf nach einer anderen Art der Führung und Zusammenarbeit auf. Stichworte dazu sind, agile Teams, Selbstorganisation, virtuell & vernetzter Kollaboration und ein Führungsstil, der mehr auf Coaching basiert, als auf Kontrolle und Vorgaben. Führungskräfte sollen idealerweise zu Moderatoren, Lehrern, Ausbildern und Förderern werden und am besten sich selbst überflüssig machen. Überflüssig machen? Nein, nicht vollständig, aber in der Rolle des Macht- und Geheimnisträgers, des Besserwissers, des Kontrolleurs und des „lass mich mal machen, das ist Chefsache.“
Agilität und Selbstorganisation kein Selbstzweck
Hilfe zur Selbsthilfe ist das Gebot der Stunde für das Entwickeln agiler Teams und Schwärme. Nicht zum Selbstzweck oder weil es ein Trend ist, sondern vielmehr der Garant dafür ist, dass Mitarbeiter besser und schneller (mit-) entscheiden können, was Ihre Aufgaben und Projekte betrifft. Das Prinzip entscheide am Ort des Geschehens (Gemba) ist nicht nur nützlich, sondern auch weise.
Am Ende geht es darum, dass ein guter Führungs- oder Coachingstil Kreativität, Innovationen und Prozessverbesserungen initiiert, um Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und Mitarbeitern den Spaß an der Arbeit und Mitgestaltung zu garantieren.
Daimler Chef Zetsche hat diese Botschaft verstanden und weiß, dass wenn die Automobilindustrie und natürlich sein eigenes Unternehmen nicht alles unternimmt, um das Thema Mobilität und Auto radikal anders zu denken, werden Google, Tesla oder israelische Startups in Zukunft das Autobauen beherrschen. Und eben dieses radikal anders denken, bedeutet eben auch raus aus den alten Denkmustern, aus den alten Paradigmen und aus den alten( Raum- und Gedanken-) Gemäuern.
Mittelmanagement neu denken
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir auch in Zukunft viele verantwortungsbereite, kluge Manager und Persönlichkeiten brauchen, um die Herausforderungen der Zukunft zu gestalten. Schon heute fordern viele Manager laut der Studie „Gute Führung“ des BMAS einen Paradigmenwechsel und das lässt ja darauf schließen, dass das bestehende Modell renovierungsbedürftig ist.
Kritischer Führungsdialog gefragt
Und genau deswegen brauchen wir auch den kritischen Führungsdialog über die Frage: was ist der Mehrwert des Chefs heute- morgen, was bleibt, was kommt, was werden wir daran lieben, was daran hassen? Wieviel Führung brauchen wir und wie unterstützen wir Mitarbeiter auf dem Weg zu mehr Selbstorganisation und Entrepreneurship?
Machen wir uns auf den Weg – es gibt viel zu tun. Und das heißt auch und besonders für den Mittelmanager in die Zukunft einzutauchen, sich selbstkritische (Führungs-) Fragen zu stellen, sich weiter zu bilden persönlich und auch digital, das scheinbar Unmögliche zu denken, die eigenen Schranken im Kopf einzureißen und vielleicht auch sich selbst neu zu erfinden , sei es als Führungskraft oder Coach.
Und vielleicht entdecken Sie liebe Leser auch den Spaß am neu erfinden? Lassen Sie es mich wissen und wenn Sie Fragen oder Feedback wünschen dann einfach Kontakt aufnehmen.
Wenn Sie noch weitere Anregungen zum Thema Führung und Unternehmensorganisation suchen, dann schauen Sie unbedingt am 21.6.2017 in Köln beim Digital Leadership Summit vorbei. Hier treffen sich Deutschlands innovativste Leadership Experten, die ihre Praxiserfahrungen mit uns teilen werden.