Arbeiten statt Ausbildung? Endlich!

Die neue Bertelsmann-Studie zeigt einen klaren Trend: Jugendliche, insbesondere die mit niedrigem Bildungsniveau, steigen nach der Schule direkt ins Berufsleben ein – ohne formale Ausbildung. Während Bildungsexperten vor den Risiken warnen, sieht IPA-Gründerin Ursula Vranken darin auch Chancen und eine sinnvolle Alternative zu starren Bildungswegen. Ihre etwas andere Perspektive lesen Sie hier:

Zeit für mehr Verständnis statt Vorwürfe

Was ist eigentlich falsch daran, dass junge Menschen „raus aus der Schul- und Prüfungsmühle“ wollen? Dass sie endlich Geld verdienen und auf eigenen Beinen stehen möchten? Diese Generation ist mit Corona, Lock Down, weltweiten Kriegen, Klimawandel und rasanten technologischen Umbrüchen aufgewachsen. Anstatt sie für ihre pragmatische Herangehensweise zu kritisieren, sollten wir ihre Resilienz feiern.

Paradoxerweise beklagen wir uns gleichzeitig über die angeblich zu hohen Work-Life-Balance-Ansprüche der Generation Z. Hier zeigt sich ein Widerspruch in unserer gesellschaftlichen Haltung, der aufzeigt: Wir sind es, die umdenken müssen – nicht die Jugendlichen.

Die Generation, die unsere Zukunft trägt

Der demografische Wandel macht es noch deutlicher: Wir haben immer weniger Azubis, sind auf diese Generation angewiesen – sie sind es, die unsere Renten- und Sozialversicherungssysteme in Zukunft finanzieren sollen. Vielleicht wäre etwas mehr Zuhören und weniger Belehrung angebracht, wenn wir den jungen Leuten sagen, was sie zu tun haben.

Der direkte Einstieg ins Berufsleben kann durchaus als „barrierefreier“ Weg in den Arbeitsmarkt verstanden werden – weg von starren Strukturen, hin zu praktischen Erfahrungen und sofortiger finanzieller Unabhängigkeit.

Angebot und Nachfrage neu denken

Statt zu verurteilen, sollten wir als Gesellschaft konstruktiv reagieren. Das Problem liegt oft nicht bei den Jugendlichen, sondern darin, dass Angebot und Nachfrage nicht richtig matchen. Arbeitgeber und Bildungsanbieter sind gefordert, endlich kreative und kundenorientierte Lösungen zu entwickeln – die jungen Menschen sind ihre Zukunft.


Junge Menschen sind unsere Zukunft, nicht unsere Problemfälle.


Vier Ansatzpunkte für neues Lernen und Arbeiten:

1. Verstärkte Orientierung und Betreuung IHK, Arbeitgeberverbände und Unternehmens-HR müssen eine aktivere Rolle übernehmen. Mehr Orientierungstage, Praktika und kompetente Begleitung während der Schulzeit können den Übergang erleichtern.

2. Flexible nachschulische Angebote Arbeitszeiten auf Ausbildungszeiten anrechnen, praktische Erfahrung mit formaler Qualifikation verbinden – das neue Berufsvalidierungs- und -digitalisierungsgesetz macht es möglich. Endlich werden beruflich erworbene Fähigkeiten auch ohne klassische Ausbildung offiziell anerkannt. Das ist der Paradigmenwechsel, den wir brauchen!

3. Individuelle Begleitung durch Job Coaches Die Jugendlichen selbst bestätigen: Informationen gibt es genug, aber die Orientierung im Dschungel der Möglichkeiten fällt schwer. Hier braucht es persönliche Betreuung, die Fähigkeiten einschätzt und passende Wege aufzeigt. Mentoren- Modelle können dabei ein wertvoller Ansatz sein. Auch Eltern können ihre Verantwortung wahrnehmen – nicht durch Vorgaben, sondern durch wohlwollende Unterstützung bei der Suche nach passenden Ausbildungswegen.

4. Das freiwillige soziale Jahr als Orientierungszeit Als Mutter zweier Kinder, die beide ein FSJ absolviert haben, kann ich diesen Weg nur empfehlen. Das Jahr und die Arbeit im sozialen Bereich haben beiden enormen Entwicklungsschub gegeben – neue Perspektiven, Selbstständigkeit und wertvolle Lebenserfahrung inklusive.

Die Arbeitswelt der Zukunft braucht neue Wege

In einer sich rasant wandelnden Arbeitswelt – geprägt von Digitalisierung, KI und gesellschaftlichen Umbrüchen – müssen auch unsere Übergangssysteme flexibler werden. Eine Generation, die bereits in jungen Jahren lernt, sich an unvorhersehbare Veränderungen anzupassen, verdient Unterstützung statt Kritik.

Statt starrer Pfade brauchen wir individuelle Lösungen, die sowohl praktische Erfahrung als auch formale Qualifikation ermöglichen. Die Bertelsmann-Studie zeigt uns nicht nur ein Problem auf – sie zeigt uns auch, wo unsere Chancen liegen, wenn wir endlich aufhören, über die junge Generation zu schimpfen, und anfangen, ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen.

Was denkt ihr? Welche Erfahrungen habt ihr/Sie gemacht?  Wie habt Ihr Euren beruflichen Weg gefunden?


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