Führungskräfte-Bashing ist auch keine Lösung – Führung im Dilemma

Ja, machen denn Führungskräfte alles falsch – oder was? Vielleicht haben Sie es auch schon bemerkt: In den sozialen Medien sind die Schuldigen für schlechtes Arbeitsklima, Fachkräfteabwanderung, unglückliche MitarbeiterInnen aus der „Generation Z“, Motivationsdefizite, fehlende (Weiter-)Bildung sowie weitere Defizite im Allgemeinen und Besonderen schon ausgemacht: Es sind die Führungskräfte – eine breiige Masse, eine Kohorte, eine Subsumierung von „denen da oben“, den Schlechten, Narzissten und Egoisten.

Führungskräfte-Bashing – schuld sind immer die anderen

Deshalb möchte ich heute einmal beleuchten, wie stark Führungskräfte derzeit im Dilemma stecken – zwischen dem operativen Druck, der auf ihnen lastet, einerseits (der von Shareholdern, Eignern, Inhabern und Management Boards regelmäßig genährt wird, da im Zweifel „die Zahlen“ oberste Priorität haben) und den Forderungen nach Teamentwicklungskompetenzen – sprich: Menschenkenner, Förderer, Inspirator, Motivator und Personalentwickler zu sein – andererseits.

Dilemma zwischen Zahlen und Zufriedenheit

Dieses Dilemma macht vielen Führungskräften deshalb besonders zu schaffen, weil ihnen selbst andere Glaubenssätze eingeprägt wurden. Das macht sie hilflos, wie sich im Coaching bei mir anhand von Fragen zeigt wie: „Frau Vranken, was soll ich tun? Ich bin die letzten 20 Jahre so sozialisiert worden, ich kann doch nicht über Nacht alles anders denken und fühlen! Ich brauche Zeit.“ Viele Führungskräfte, die heute an den Schaltstellen sitzen, haben auf der Karriereleiter gelernt: „Du musst perfekt sein!“, „Gib bloß keine Fehler zu!“, „Du musst Entscheidungen treffen, dafür bezahle ich dich!“, „Du musst haarklein wissen, was in deinem Bereich passiert, und wenn ich dich im Strategiemeeting danach frage, musst du die Antwort parat haben!“, „Du musst dich inhaltlich auskennen, ich warte nicht auf deine Fachexperten!“. Das heißt ehrlicherweise: Viele haben gelitten, geflucht und – beschönigen wir nichts – sich auch manches Mal verbogen, um den begehrten nächsten Posten zu ergattern.

Nun haben sich die Vorzeichen verändert und die Erwartungen auch. Wobei – wenn wir in den Maschinenraum einiger Unternehmen schauen, dann scheint dies seltener der Fall zu sein als uns all die vielen Texte und Berichte zu „New Work“ glauben lassen wollen. Aber klar ist: Führung ist in den Fokus gerückt. Hier schauen alle genauestens hin.


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Junge Führungskräfte sind frustriert

Gleichzeitig erlebe ich junge Führungskräfte, die vieles besser machen wollen, die oft nach wenigen Monaten frustriert vom Führungsalltag sind. Es überrascht sie, wie komplex ihre Aufgabe ist – und dass keine Kommunikation genügt, egal welchen Stellenwert sie hat. Ach ja – und nicht zuletzt erfahren sie schmerzlich, dass nicht alle MitarbeiterInnen supermotiviert und selbstorganisiert sind. Sie wundern sich, dass trotz intensiver Mitarbeitergespräche und trotz der Bitte um Feedback eben genau dies ausbleibt. Zudem wird ihnen als ChefIn die Verantwortung für die Stimmung und das Arbeitsklima übergestülpt – getreu dem Motto: „Nu‘ sieh mal zu, dass alles gut wird!“. Und schnell wird klar, dass die Sache mit der Inspiration im täglichen Alltag schwer umzusetzen und vorzuleben ist.

Für viele Führungskräfte bedeutet dieser Spagat zwischen der Orientierung an den MitarbeiterInnen und der Orientierung an den Facts&Figuress (Ergebnissen) eine Zerreißprobe statt positive Herausforderung oder gar Spaß. So schwierig hatten sie sich die Angelegenheit nicht vorgestellt. Auch den Wunsch nach flexiblen Arbeits- und Homeoffice-Regelungen können viele Führungskräfte nachvollziehen und würden ihn sofort erfüllen, wenn – man ahnt es schon – nur genügend Personal da wäre.

Teufelskreis und Zerreißprobe

Doch leider ist in vielen Unternehmen Fakt, dass immer mehr Arbeit auf immer weniger Köpfe verteilt wird. Wen wundert’s, dass diese entsprechend schneller angespannt, ausgelaugt und frustriert sind – und obendrein öfter krank werden.

Es ist ein Teufelskreis für alle Beteiligten – und oft genug erlebe ich Führungskräfte, die (un)freiwillig Aufgaben ihrer MitarbeiterInnen übernehmen, um diese nicht zu sehr zu belasten. Sie kaufen sich für kurze Zeit ein bisschen mehr Zufriedenheit bei ihren MitarbeiterInnen ein, nur um selbst bis an die Grenze zur Erschöpfung zu arbeiten. Win-Win sieht anders aus.

Meine Position: Führungskräftebashing ist auch keine Lösung – alle müssen mitmachen und wollen

Um es klar zu sagen: Dass Führungskräfte verstärkt Coaches und Personalentwickler sein sollen, fordere ich schon seit mehr als 20 Jahren – nämlich seitdem ich als junge Geisteswissenschaftlerin in die Industrie gegangen bin. Damals kannte kein Mensch die Begriffe Coaching, Purpose und New Work. Das Wort „Personalentwicklung“ wurde in dem Maschinenbauunternehmen, in dem ich arbeitete, vorzugsweise vom Betriebsrat verwendet, um die Ab- und Zugänge im Unternehmen zu beschreiben. Für jemanden wie mich, die gerade genau diese Abteilung aufbauen sollte, eine ziemlich frustrierende und mühsame Angelegenheit.

Früher war alles viel schlechter?

Ich bin ehrlich: Was ich damals an Führungsverhalten gesehen und erlebt habe, verdient wirklich die Bezeichnung „autoritär, hierarchisch, law & order“ – und vor allem: „null divers“. Ich will hier nichts beschönigen: Heute sind wir weiter, vieles hat sich entwickelt – aber leider nicht schnell und gut genug. Es reicht nicht.

Blick nach vorne

Was meiner Meinung nach nötig wäre:

  • Für die aktuelle Zeit braucht es radikaleres Umdenken. Leadership & Culture müssen endlich ernst genommen und insbesondere muss ein echtes „Wir“-Gefühl entwickelt werden. Denn alle sind gemeinsam für die Kultur und Motivation im Team verantwortlich.
  • Die Aus- und Weiterbildung von Führungskräften sollte oberste Priorität haben! Oft bin ich erstaunt, wie wenig hier immer noch investiert wird – und zwar vom Mittelstand bis zum Startup. Für Employer Branding und Recruiting wird tonnenweise Geld ausgeben, aber bei Training und Coaching gilt das Motto „keine Zeit, kein Geld“.
  • Die Investition in die mentale und psychische Gesundheit von Führungskräften und MitarbeiterInnen sollte keine Überlegung und Abwägung nötig machen, sondern eine Selbstverständlichkeit sein. Leider fräst sich erst langsam in die Gehirne vieler Unternehmen, dass nur gesunde und motivierte MitarbeiterInnen ein gesundes Unternehmen überhaupt ermöglichen. Wer hier keine Priorität setzt, hat morgen gar keine Leute mehr.

Es bleibt festzuhalten: Die meisten Führungskräfte sind motiviert und willens, einen guten Job zu machen – das Mittel der Wahl ist, sie darin zu unterstützen. Dazu zählen Freiräume, Vertrauen, Budgets für Weiterbildung, Teambuilding und Motivationsmaßnahmen – und nicht zuletzt: Geduld.

 

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