Die Akte Zalando: Wie viel Überwachung ist erlaubt?

„Wie würden Sie das gekaufte Produkt bewerten?“ Nach jedem Online-Kauf erreichen uns solche Bewertungsanfragen der Versandhändler. Wir vergeben Sternchen zur Produktqualität, Lieferzeit und, und, und. Das soll das Kauferlebnis für andere Kunden transparenter machen. Online-Shooting-Star Zalando hat dieses Bewertungs-Prinzip auf die eigenen Mitarbeiter übertragen. Mitarbeiter bewerten sich gegenseitig und anonym. Die Software teilt Mitarbeiter dann in drei Gruppen ein: Low, Good und Top Performer. Eine Diskussion ist entbrannt: Sind damit nicht die ethischen Grenzen der Digitalisierung erreicht?

 Online-Händler Zalando rechtfertigt sein Vorgehen
Online-Händler Zalando versteht den Trubel nicht recht. Seinen Mitarbeitern verkauft er das konzerneigene Arbeitnehmer-Bewertungs-Tool als Hilfe zur Selbstoptimierung. Diese empfinden es dagegen eher als Stasi-Methode. Zu dieser Erkenntnis kommt eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, die am Mittwoch, 20. November 2019, vorgestellt wurde.

Zwar wurden dafür nur zehn Zalando Mitarbeiter befragt, für die Autoren wird dennoch ein Problem sichtbar. Das System berge die Gefahr, dass sich alle ständig überwacht fühlen. Der Eindruck komme auf, man dürfe nie auch nur den geringsten Fehler machen. Unterm Strich führe das zu einer Kultur des Misstrauens. Soweit die Sicht der Hans-Böckler-Stiftung.

Das offizielle Pressestatement von Zalando
Zalando hält dagegen und verkündet in einer offiziellen Pressemitteilung: „Als führendes europäisches Tech-Unternehmen, das weltweit die besten Talente anzieht, weiß Zalando, dass eine gesunde und faire Feedbackkultur sowohl Mitarbeiter als auch Führungskräfte weiterbringt. Ein Performance-Management System ist daher ein wichtiger Bestandteil unseres Talentmanagements, mit dem Zalando Mitarbeitern und Führungskräften gleichermaßen die Möglichkeit gibt, sich 360°-Feedback einzuholen und zu geben. Solche Systeme gehören zum Standard von modernen DAX- und MDAX Unternehmen und werden bereits seit Jahrzehnten in fortschrittlichen internationalen Unternehmen angewandt.“

Lassen wir das an dieser Stelle einfach mal so stehen. Völlig unabhängig davon, ob die Studie nun im Detail zutrifft oder nicht – sie zeigt doch noch etwas ganz anderes: Offensichtlich gibt es in Unternehmen derzeit ein sehr grundsätzliches Problem. Während Betriebe im Moment digitalisieren, was nur zu digitalisieren geht, wächst auf Mitarbeiterseite die Angst, bald nur noch der Sklave der eingeführten Technik zu sein.

 Hatte Orwell Recht? Kommt der totale Überwachungsapparat?
Nicht ganz zu Unrecht, haben Arbeitnehmer den Eindruck, der Orwellsche Überwachungsapparat aus dessen Roman „1984“ rücke zunehmend aus der Ecke der Utopie in Richtung Realität. Denken wir nur an China. Hier wird schon lange das Verhalten der Bürger mit Kameras erfasst, mit einer Software ausgewertet und bewertet.

Und nun gibt es auch hierzulande Fälle, die sich in der Arbeitswelt das System von Beobachtung, Kontrolle und Bewertung für das hauseigene Performance Management zunutze machen. Wer so etwas einführt, muss sich die Frage gefallen lassen: Was passiert, wenn das System falsch ausgelegt wird und wirklich jeder falsche oder als falsch empfundene Ton zu einem Negativeintrag führt, der über Aufstiegschancen und Gehalt entscheidet? Ist das wirklich noch die viel gepriesene Transparenz digitaler Systeme, die eigentlich zu mehr Gleichberechtigung führen soll?

Digitalisierung? Ja, aber bitte mit Sinn und Verstand!
Um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich bin ein absoluter Befürworter der Digitalisierung. Aber nur, wenn sie mit Sinn und Verstand und vor allem menschenzentriert umgesetzt wird. Unternehmen dürfen meines Erachtens eine wichtige Grenze nicht überschreiten. Es ist nichts daran auszusetzen, wenn Roboter eingesetzt werden, um wiederkehrende Routinen zu erledigen und die Ressource Mensch damit zu entlasten. Kritisch wird es aber, sobald die Ressource Mensch zum Spielball der digitalen Systeme wird.

Künstliche Intelligenzen und digitale Tools können und dürfen die menschliche Urteilskraft nicht ersetzen. Doch immer wieder belehren uns die Medien, dass wir Gefahr laufen, dass genau das passiert. Ein jüngeres Beispiel ist etwa eine maschinelle Personalauswahl-Technologie, die Telefoninterviews eines Sprachbots mit Bewerbern für die Erstellung psychologischer Profile heranzieht.

Wenn der Roboter Bewerber identifiziert
Anhand des Sprachtempos, der Stimmhöhe und anderen Parametern erstellt das Tool ein Persönlichkeitsprofil. Binnen Minuten soll so die Antwort auf die Frage aller Fragen gefunden werden: Passt der Kandidat zum Unternehmen? Dabei drehen sich viele Fragen, die der Sprachbot in dem etwa 15-minütigen Interview stellt, nicht einmal um Berufliches. Stattdessen sollen Talente etwa den Ablauf eines typischen Sonntags beschreiben. Der Roboter hakt außerdem nach: „Wie war Ihr letzter Urlaub?“

Unter Experten ist das Verfahren als höchst umstritten – die wissenschaftlichen Grundlagen, auf deren Basis die Analyse durchgeführt wird, gelten als eher dürftig. Die Macher solcher Tools werben hingegen damit, dass Führungskräfte damit nicht mehr in die Falle der „unconscious Bias“ tappen. Damit sind die vielen kleinen Vorurteile und Klischees á la „Blondinen sind von Haus aus doof“ gemeint, die jeder von uns unbewusst verinnerlicht hat.

Wann geht Digitalisierung zu weit?
Diese Klischees führen häufig zu einer falschen Einschätzung anderer Personen. In der Personalauswahl kann das zur Folge haben, dass Unternehmen den falschen Bewerbern den Vorzug geben. Mit dem richtigen digitalen Gadget soll das vorbei sein. Zugunsten einer gesteigerten Wettbewerbsfähigkeit. Und so erobern nicht nur in der Personalbeschaffung immer mehr Systeme den Markt, die die verheißungsvolle Wende in so ziemlich allen Leadership- und Personalangelegenheiten versprechen. Nicht immer ist den Machern hinter den Tools allerdings ein unbedingt moralischer Anspruch zu unterstellen.

Für den Verbraucher wird es immer schwerer zu unterscheiden: Was ist noch seriös? Wie weit springe ich auf den Digitalisierungszug auf, wo steige ich wieder aus und verlasse mich auf mein Bauchgefühl? Dieses hat ja auch über Jahre hinweg zu recht zuverlässigen Ergebnissen geführt. Hier die richtige Entscheidung zu treffen, ist zweifellos eine immense Herausforderung.

Fazit
Ich habe dazu eine klare Einstellung: Im Bereich des Feedbacks, kann der Einsatz digitaler Tools eine zusätzliche Facette sein, die aber nicht für sich alleine stehen dürfen. Die Aufgabe von Führungskräften ist und bleibt es Mitarbeiter zu coachen, Ideen zu hören, zu bewerten und im Team umzusetzen. Dazu müssen sie sich mit ihnen unterhalten und vor Ort sein, statt kalte Kameralinsen auf sie zu richten. Digitale Tools ersetzen keine Führungsarbeit!

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